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Die Zimov Hypothese und das Rambazamba in meinem Kopf

Hier erwartest du vielleicht einen informativen Leadtext, der dich auf den Artikel einstimmt, der dann folgt. Dann muss ich dich wohl enttäuschen. Ich habe nämlich keinen Hauch einer Ahnung, wie ich dich auf das Chaos in meinem Kopf vorbereiten kann. Ich fühle mich ja selbst nicht vorbereitet genug, meinen Kopf zu handhaben. Nur soviel: Die meisten Protagonist*innen haben zwei bis vier Füsse. Vermutlich.

Das Enkelkind an der Hand, wandert der alte Russe durch die Tundra. Er zeigt auf die Enten, beugt sich mit ernstem Gesicht zum kleinen Kind und sagt: «So wie es hier jetzt Enten hat, war die Ebene früher von Mammuts bevölkert.»
Durch meinen Kopf schiessen Bilder von winzigen Mammuts, die auf Wasserflächen schwimmen. Dann bevölkern gigantische Enten mit zotteligem Pelz und Stosszähnen meine Phantasie.
Es dauert einige Zeit bis die Erzählung der Arte-Doku wieder zu mir durchdringt. Dann schaue ich die Doku weiter. Mich fasziniert das Thema. Es geht um einen russischen Forscher, Sergej Zimov, und seinen, inzwischen ebenfalls forschenden, Sohn, Nikolai.
Es geht um ein einzigartiges Projekt, welches manchen Forschenden zufolge unsere bisher einzige Hoffnung ist, das Schmelzen des Permafrosts zumindest zu verlangsamen. Es ist nicht die erste Doku über Sergej, die ich schaue. Ich bin längst Fan des

Paleoparks. Und schon seit einigen Monaten denke ich darüber nach, einen Text darüber zu schreiben. Doch nach wenigen Zeilen kamen immer die Zweifel. Ich habe keine Ahnung von Geobiochemie oder so. Überhaupt, komplexe Themen in aufschlussreiche Artikel zu verwandeln, ist nicht mein Ding. Ich schweife lieber ab. Vertiefe mich in unwichtige Details oder lasse mich von verwandten Themen ablenken. In einer komplexen Welt, in der alles zusammenhängt, kann man endlos abdriften. Vor allem ich. Ich habe ADHS. Nicht sonderlich überraschend, nicht selten, nicht neu. Doch wenn ihr meine Texte lest, meine Illus? seht oder mit mir plaudert, begegnen euch immer wieder Spuren davon. Es prägt mein Leben, mein Umfeld und alles, was ich erschaffe. Meine Texte schreibe ich fast immer last minute. Nicht pünktlich zur offiziellen Deadline, nicht knapp zur inoffiziellen Deadline, sondern so, dass sie in der alleraller-

allerletzten Minute doch noch da sind. Jedes Mal will ich es besser machen. Und immer wieder lasse ich mich von Themen fesseln, vertiefe mich so sehr, dass ich ein Buch schreiben könnte. Zumindest, wenn ich dafür die Ausdauer hätte. Und die Geduld. Für ein anderes Heft schrieb ich vor einiger Zeit über Nandus. Am Anfang dieser Texte stand ein zweiminütiges Filmchen auf Youtube. Einige Wochen später habe ich mich stundenlang auf der Website des Landwirtschaftsministeriums von Mecklenburg-Vorpommern aufgehalten, Artenschutzabkommen und Jagdgesetze verglichen und Landtagsdebatten auf Youtube geschaut. Ich beschäftigte mich mit Sommerraps und Winterraps, sinnvollen Fruchtfolgen, dem Aalvorkommen in Norddeutschland und mit Kormoranen. Ich las eine Diplomarbeit über Nandumonitoring, dank der ich lernte, dass Nandus gefangen werden können, indem man zwei Jonglierbälle mit einer Schnur aneinander befestigt und dieses Ding dann so wirft, dass es sich um die Vogelbeine wickelt. Meine Fresse, ich las Tabellen über die Bestandteile der Vogelkacke. Und zwei Tage vor dem Abgabetermin (also dem allerletzten) versuchte ich, all das Wissen zu einem zusammenhängenden Text zu kürzen. Und wie sollte ich meine sprunghaften Gedanken vernünftig erklären? Nandus und Mammuts hängen irgendwie zusammen. Global gesehen. Eine ausgestorbene Tierart, die man wieder zum Leben erwecken will, um das Klima zu retten und eine Spezies, die in ihrer Heimat vom Aussterben bedroht ist und in der Fremde als invasiv angesehen wird. Aber der wohl wichtigste gemeinsame Nenner: Beide haben meine Aufmerksamkeit gewonnen. Es sind Nischenthemen, die weder den Kapitalismus überwinden, noch das Klima retten. Doch sie sind lustig. Wenn ich daran denke, dass in Sibirien ein alter Mann mit einem Bulldozer aus Sowjetzeiten den Wald niederwalzt, um das Klima zu retten, «vertätscht» es mich immer ein wenig vor Lachen. Und wenn mir langweilig ist, kann ich auch ein sechstes Mal die Landtagsdebatte schauen, in der die AfD Nandus und Kormorane zum Abschuss freigeben will und sich ein ganzes Parlament mit Ornithologie beschäftigen muss, um in flammenden Reden über unsere gefiederten Freund*innen zu dozieren.


Eigentlich wollte ich hier einen etwas anderen Text über ADHS schreiben und darüber, wie es sich anfühlt, in der JUSO (hyper)aktiv und autistisch zu sein. Von den Schwierigkeiten, den eigenen Erwartungen und den Erwartungen der Anderen gerecht zu werden. Der andere Text ist noch nicht fertig. Ich bin zu sehr abgeschweift. Mal wieder. Stattdessen recycle ich nun einen bereits veröffentlichten Artikel. Es ist kein Text über ADHS, sondern vielmehr ein Text mit ADHS. Ein relativ unzensierter Einblick in mein Kopfchaos.

Ich möchte diesen Text nutzen, um all jenen zu danken, die mit Menschen wie uns geduldig sind. Und die uns an Sitzungen auch noch aushalten, wenn wir drei Energydrinks getrunken haben und wenn unsere Medis nicht wirken. Merci an alle, die sich nicht aus dem Konzept bringen lassen, wenn ernste Gespräche unterbrochen werden müssen, weil zuerst die Frage geklärt werden muss, ob es Umschnalldildos mit Lautsprechern gibt. Und wenn ihr mal keine Geduld mehr habt, denkt daran: hr müsst unsere Köpfe nur einige Stunden aushalten. Wir verbringen 24/7 damit.

PS: Ad(h)S ist so viel mehr, als nur das hier Beschriebene, wohl bekannteste, Chaossymptom. Es hilft sowohl Betroffenen wie auch den Menschen rund herum, sich ausführlicher damit zu befassen. Erst nach meiner recht späten Diagnose begann ich, Stück für Stück zu verstehen.
Eine Quelle, die mir dabei enorm geholfen hat, ist der Insta-Account Adhd-Alien von Pina.
Wichtig: Internet ersetzt keine professionelle Diagnose!

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