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Die Linke und der Staat

Bananenrepublik 2.0

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden zentralamerikanische Staaten «Bananenrepubliken» genannt, da diese damals durch die USA politisch oder militärisch kontrolliert wurden, mit dem Ziel, dass US-Firmen dort riesige Bananenplantagen für den US-Markt betreiben konnten. Der Begriff ist mit dem US-Imperialismus verknüpft und gilt in Lateinamerika als Beleidigung. Hier wird er nur verwendet, um das beschriebene Projekt zu bewerten, nicht aber den honduranischen Staat.

Die offizielle Website von Próspera hat den aktuellen Zeitgeist in der internationalen Start-Up-Kultur sehr gut verinnerlicht. Sie verspricht «Eine Plattform für nachhaltiges Wachstum», zeigt Visualisierungen von durch Star-Architektin Zaha Hadid geplanten, luftig-luxoriösen Wohnresidenzen neben traumhaften Stränden und verspricht eine «Partnerschaft zwischen Honduras und Próspera». Die Macher*innen lieferten sich offensichtlich eine interne Wette, wer die Worte «Innovation», «Wachstum» und «nachhaltig» am häufigsten in die Publikationen einfliessen lassen kann. Und sie sind sich auch nicht zu schade für Pathos: «Human Rights are right for business»1. Hinter dieser Fassade verbirgt sich jedoch ein Projekt, welches nicht nur die das grundlegende Verständnis von «Staatsgebiet», «Staatsmacht» und «Staatsgewalt» hinterfragt, sondern auch Menschenrechte und Rechtsstaat gefährdet.

Im Jahr 1860 versuchte der US-Amerikanische Abenteurer William Walker die Karibikinsel Roatán mit einer Söldnertruppe zu erobern, um dort einen Sklavenhalterstaat zu errichten. Nachdem er mit seinen Söldnern einige Jahre zuvor in Nicaragua kurzzeitig eine von den USA grosszügig tolerierte «Präsidentschaft» errichten konnte, scheiterte er auf Roatán kläglich. Den USA und dem britischen Empire, auch wenn sie Zentralamerika als «Bananenrepubliken» verachteten und als ihren eigenen Hinterhof betrachteten, wurde Walker zu dumm. So lieferten britische Soldaten ihn an den honduranischen Staat aus. Aus der Tragödie wurde die Farce und 160 Jahre nach Walker versuchten US-amerikanische Abenteurer wiederum Roatán zu erobern. Dieses Mal aber nicht gewaltsam mit Waffen und Söldnern, sondern ganz legal mit Start-Ups und Jurist*innen und mit dem Segen des honduranischen Parlaments.

Auf einem kleinen Streifen der Insel, der bisher noch nicht viel mit den Animationen auf der Website gemeinsam hat, wurde eine Zona de empleo y desarollo económico2 (ZEDE) eingerichtet. ZEDEs sind autonome Zonen innerhalb des honduranischen Staates, die von privaten Unternehmen verwaltet werden. Diese Unternehmen dürfen auf ihrem Gebiet eine eigene Gesetzgebung und ein eigener Justiz- und Polizeiapparat aufbauen. Das von Armut, Gewalt und Korruption geprägte Honduras, welches in diesen ZEDEs somit eine gewisse territoriale und juristische Souveränität abgibt, erhoffte sich dadurch wirtschaftlichen Aufschwung in Randregionen. Nachdem 2009 der linke Präsident José Manuel Zelaya vom Militär weggeputscht wurde, peitschten die rechten Machthaber die ZEDEs mit allen Mitteln durch die Gesetzgebung. Als 2012 der oberste Gerichtshof das Gesetz zum Aufbau von ZEDEs als verfassungswidrig aufhob, entfernte das honduranische Parlament kurzerhand die kritischen Richter aus dem Amt. Nun ist Próspera – der Name bedeutet so viel wie «die Florierende» – die erste ZEDE.

[…]wenn da nur nicht der Passus wäre, wonach bei Wahlen Landbesitzer*innen pro Quadratmeter Boden (!) eine Stimme hätten.

Die Verfassung von Próspera liest sich wie der feuchte Traum des Libertarismus3; Privatbesitz ist unantastbar. Einkommen dürfen zu maximal 10% besteuert werden, Mehrwert zu 5%, jegliche weitere Steuer ist verboten. Der Service Public ist vollständig privatisiert. Die Rechtsprechung ist international ausgerichtet und Schiedsgerichte in den USA entscheiden über Streitfälle. Regiert wird Próspera durch einen 8-köpfigen Rat, wovon die Hälfte durch das verwaltende Unternehmen ernannt wird, während die andere Hälfte gewählt wird. Immerhin teilweise demokratisch könnte man denken – wenn da nur nicht der Passus wäre, wonach bei Wahlen Landbesitzer*innen pro Quadratmeter Boden (!) eine Stimme hätten. Eine Kandidatur für den Rat setzt selbstverständlich «Erfolge in Business oder Leadership» voraus. Die Liste der Ratsmitglieder spricht Bände; Investmentbanker, Krypto-Unternehmer, Aktivisten im Umfeld von libertären US-Politikern. Der einzige Honduraner in der Verwaltung ist durch das ZEDE-Gesetz vorgeschrieben.

Armut ist in Próspera unerwünscht

Um Bewohner*in von Próspera zu werden, muss man nicht nur dessen Gesetze akzeptieren, sondern auch einen lückenlosen Leumund haben und beweisen können, dass man finanziell in der Lage ist, Steuern und Gebühren zahlen zu können. Armut ist in Próspera unerwünscht, Sozialwerke sind nicht vorgesehen. Wer diese Voraussetzungen nicht erbringen kann oder nicht nach Honduras ziehen möchte, kann sich alternativ für 130$ eine e-Residency kaufen, um in Próspera virtuell Geschäfte zu machen; eine attraktive Einladung für Geldwäscherei und Steuerhinterziehung.

In der honduranischen Bevölkerung sind die ZEDEs sehr unbeliebt. Sie werden in dünn besiedelten Gebieten ohne Rücksprache mit der lokalen Bevölkerung deklariert, das ZEDE-Gesetz ermöglicht die Enteignung der Lokalbevölkerung – darunter die indigene Gruppe der Garífuna – zugunsten der ZEDEs. Als in der Nachbargemeinde von Próspera aufgrund der Bautätigkeit der Dorfbrunnen verschmutzte, erweiterte die ZEDE zwar die eigene Wasserleitung ins Dorf, nur um kurz darauf der Gemeinde eine saftige Gebührenrechnung zuzustellen. Aufgrund der Autonomie von Próspera war ein gerichtliches Vorgehen dagegen nicht möglich und der ermittelnden honduranischen Polizei wurde der Zugang verwehrt.

Diese Vorkommnisse, wie auch die Angst vor Souveränitätsverlust, Umweltverschmutzung, Steuerflucht und Ausbeutung von Honduraner*innen als billige Arbeitskräfte für eine internationale Krypto-Elite sorgten dafür, dass sich eine breite Masse der Honduranischen Bevölkerung den ZEDEs widersetzte. Die Proteste führten dazu, dass selbst die neoliberale Rechte Honduras sich zunehmend von dem Monster distanzierte, welches sie geschaffen hatte. Zu spät, im November 2021 wählte die Bevölkerung die linke Xiomara Castro, die seit jeher die ZEDEs kritisierte, zu Präsidentin. Mit Castros Wahlsieg implodierte die Unterstützung komplett und im April 2022 hob das Parlament die ZEDE-Gesetze einstimmig auf. Damit ist der Spuk allerdings noch nicht vorbei. Próspera kündigte an sich juristisch zu wehren, eine Millionenklage gegen Honduras wird befürchtet. Aufgrund des autonomen Status von Próspera und diversen Verträgen ist die Rechtslage verwirrend, es ist noch nicht einmal klar, welche Gerichte überhaupt zuständig sind. Die Regierung Castro muss sich auf einen langen und frustrierenden Prozess zur Auflösung der ZEDEs einstellen.

Mehrere zentralamerikanische Staaten versuchten in der Vergangenheit, sich mit turbokapitalistischen Projekten ins 21. Jahrhundert zu katapultieren. Panama positioniert sich seit längerem als Steueroase und Fluchthafen für Geldwäscherei, während in El Salvador Präsident Nayib Bukele, der sich gerne als Elon Musk Zentralamerikas inszeniert, jüngst Bitcoin zu offiziellem Zahlungsmittel erklärte, wovon die breite Bevölkerung aber keinen Nutzen zieht und dafür die Nationalbank mit Investitionen in Kryptowährungen sehenden Auges in den Bankrott fliegt. Der erfolgreiche Widerstand der Honduraner*innen gegen die ZEDEs sind vor diesem Hintergrund ein wichtiges und kämpferisches Signal gegen den globalen Kreuzzug von Neoliberalismus und Libertarismus.

1 «Menschenrechte sind gut fürs Geschäft»

2 Zone für Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung

3 Der Libertarismus ist eine politische Philosophie, die den Fokus auf grösstmögliche Freiheit des Individuums legt. Klassische Libertarier*innen propagieren einen Minimalstaat, der lediglich für den Schutz des Privateigentums und die äussere Sicherheit zuständig ist, während alle anderen Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens durch den Markt geregelt werden. Auch wenn es parallelen zum Neoliberalismus gibt, unterscheiden sich die zwei Philosophien durch ihr Verhältnis zum Staat; Der Neoliberalismus benutzt den Staat für seine Ziele (z.B. mittels internationaler Beziehungen und Organisationen oder der Koordination von Infrastruktur und Standards) während der Libertarismus den Staat grundsätzlich hinterfragt oder sogar offen ablehnt (Anarcho-Libertarismus). «Steuern sind Diebstahl» ist eine typisch libertäre Parole, die bis weit in die politische Mitte vorgedrungen ist.

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