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Die Linke und der Staat Infrarot 224

Zerschlagen, abschaffen oder absterben lassen – was machen wir mit dem verdammten Staat?

Zwei unserer Autor*innen haben sich dazu entschlossen, je eine Denkschule vorzustellen. Dave stellt dir den Anarchismus vor, Xavers Artikel trägt den Titel «Lenin und der Staat».

Der Anarchismus und der Staat

Wer hat uns verraten?

Freiheit ist die zentrale Idee des anarchistischen Denkens. Somit steht dieser Begriff für eine Abschaffung des Staats und aller auf Macht begründeten Beziehungen. Darum stehen Anarchist*innen der Parteipolitik und der Gründung sogenannter “Arbeiter*innenparteien” kritisch gegenüber, da sie der Meinung sind, dass die repräsentative Politik nie den Willen aller Menschen erfassen kann. So kann ein Erfolg in einem Parlament mit einem Kompromiss mit der bürgerlichen Gesellschaft gleichgesetzt werden. Arbeiter*innen sollen sich in wirtschaftlichen Vereinigungen zusammenschliessen und organisieren. Dabei sollen diese Gewerkschaften konstant den täglichen Kampf für Verbesserungen und den allgemeinen Kampf zur Überwindung des Kapitalismus verbinden. Diese Art von Organisation ist der Kerngedanke der anarchosyndikalistischen Bewegung. Kurzfristig sollen die Gewerkschaften Streiks und andere direkte Aktionen wie Boykotte und Blockaden gegen den Kapitalismus organisieren. Dabei kategorisiert Ralph Chaplin von der IWW (siehe Box) diese Streiks in vier Kategorien. Er spricht von Streiks in der Gemeinschaft, in einer Industrie, in einem Land und dem revolutionären Klassenstreik – dem Generalstreik.

Industrial Workers of the World (IWW)
Die 1905 in Chicago gegründete Industrial Workers of the World (IWW) ist eine anarchosyndikalistische, basisdemokratische Gewerkschaft. Sie machte sich schon immer, anders als die traditionellen Gewerkschaften, für Frauen und People of Color stark. Die IWW vertritt das Konzept von «One Big Union». Dabei sollen Arbeiter*innen nicht klassisch in verschiedenen Gewerkschaften nach Branchen aufgeteilt werden, sondern sich in einer grossen vereinen.

Die Vorstellung, wie eine zukünftige anarchistische Gesellschaft aussehen könnte, bleibt der anarchistischen Natur gemäss vage. Ideen und Bedürfnisse anderer können nicht im Voraus bestimmt werden.

Auf die Barrikaden!

Langfristig soll der Kampf der Gewerkschaften zu einem globalen Generalstreik führen. Dabei soll ein umfassender Unterbruch des Alltags erreicht werden. Wenn die Fabriken und Büros stillstehen, die Arbeit allgemein niedergelegt wird und sich die Menschen als Menschen zusammenschliessen, entsteht ein Machtvakuum, welches für die Revolution genutzt wird. Diese soll eine Ausschaltung von Staat und Verwaltung erreichen, welche eine Neuorganisation der Gesellschaft nach anarchistischem Vorbild ermöglicht. Der Kapitalismus soll durch eine Gesellschaft ersetzt werden, in der die Arbeter*innenklasse ihre Betriebe und Gemeinden selbst kontrolliert. Das höchste Ziel des Anarchismus ist der Sieg der arbeitenden Klasse über den Kapitalismus und die Abschaffung aller Staaten. Sie werden durch eine allgemeine Föderation lokaler Vereinigungen ersetzt, die auf Gleichheit und Freiheit aufbaut. Dabei unterscheiden sich der Anarchokommunismus und er Anarchosyndikalismus nicht gross von rätekommunistischen und libertären Ideen.

Anarchie ist Ordnung

Die Vorstellung, wie eine zukünftige anarchistische Gesellschaft aussehen könnte, bleibt der anarchistischen Natur gemäss vage. Ideen und Bedürfnisse anderer können nicht im Voraus bestimmt werden. Das ist der Faktor, welcher den Anarchismus anderen linken Theorien gegenüber massgeblich unterscheidet. Anarchist*innen basteln nicht irgendwelche Strukturen, Institutionen und Apparate in ihren Hirnen aus, die dann von sich aus das Heil gebären werden. “Die Anarchie führt zum Kommunismus und der Kommunismus zur Anarchie.”, führt Kropotkin in “Die Eroberung des Brotes” aus. Denn Anarchist*innen sind der marxistischen Idee nicht abgeneigt, jedoch muss diese konsequent libertär und dezentralisiert umgesetzt werden. So kann eine staatliche Kontrolle durch die Natur ihrer Sache immer nur auf der Herrschaft einer Minderheit über die Mehrheit aufgebaut sein. Dabei geht der Anarchismus einen Schritt weiter: Nicht nur die Abschaffung der Klassen soll erreicht werden, sondern auch die jeglicher Formen von Hierarchie. Hierarchie wie sie in der Familie, in romantischen Beziehungen oder gegenüber ethnischen Gruppierungen existiert. Denn wenn der Mensch die Befreiung jeglicher Unterdrückungs- und Hierarchieformen erlebt hat, wird er nie in eine andere Art von Gesellschaft zurückwollen. (Autor: David Sommer)

Disclaimer
Dieser Text ist ein Versuch verschiedene Ideen aus anarchosyndikalistischer und anarchokommunistischer Theorie aus der Perspektive des Autors zusammenzuführen. Keineswegs kann und soll dieser Text die anarchistische Meinung vollständig umfassen und definieren.

Lenin und der Staat

Verdammte dieser Erde

Der Name “Lenin” löst in linken Parteien, Gewerkschaften und anderen Organisationen immer viele Reaktionen aus. Der Revolutionär fällt nicht nur durch seinen politischen Werdegang auf. Für viele sind das grösste Erbe Lenins dessen Werke, welche bis in die heutige Zeit als Standardlektüre für Ökonom*innen, Politiker*innen und links Politisierende gelten. Eines der bekanntesten Bücher Lenins ist “Staat und Revolution”. Darin erläutert und führt er die Theorien Marx› und Engels› zum Thema Staat genauer aus.

Gemäss Lenin ist der momentan herrschende Staat ein sogenannter bürgerlicher Klassenstaat. Seine Hauptfunktion ist, die besitzende Klasse (die Bourgeoisie; das 1 %) reicher zu machen und das kapitalistische System zu schützen. Die besitzlose Klasse (das Proletariat; die 99 %) wird dabei ausgebeutet und unterdrückt. Solange es einen Staat gibt, gibt es also auch Klassen mit entgegenstellten Interessen. (Lenin; Staat und Revolution, Seite 9)

Lenin hält nicht sehr viel von den damaligen Demokratien. Sie seien “Demokratien für die Reichen”. Dies zeige sich auch an der Menge der “politisch bewussten Lohnsklaven”. Damit meint er die tiefen Mitgliederzahlen von Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien. Die Demokratie sei überall beschränkt und bleibe ein Mittel zum Erhalt des bürgerlichen Staates. Lenin war überzeugt von der Partei als politisches Instrument. Diese sollte das Proletariat in den Sozialismus “führen” und “die neue Ordnung leiten und organisieren”. Er verstand dabei die Gewerkschaften eher als Hilfsquelle, aber nicht als Ausgangspunkt einer Revolution. Zudem sah er, wie gefährlich eine Gewerkschaft werden kann, wenn sie unter die “Fittiche der Bourgeoisie” gelangt, weil sie dort ihre revolutionäre Sprengkraft verlieren und zu einem Mittel des bürgerlichen Staates würde.

Auf zum letzten Gefecht

Gemäss Engels ist der Staat “eine besondere Repressionsgewalt”. Das heisst, er hat die Aufgabe, die Macht zu sichern. Anders als im Anarchismus, in dem man die Form des Staates abschafft, wollen ihn Marxist-Leninist*innen in die eigenen Hände nehmen und so umwandeln, dass er abstirbt.

Für Lenin war die Revolution immer die einzige Option, dieses System in seinen Grundfesten zu zerschlagen und ein neues aufzubauen. Im kommunistischen Manifest schreiben Karl Marx und Friedrich Engels, dass eine proletarische Revolution “die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse” bedeuten wird. Lenin führt dies in “Staat und Revolution” noch genauer aus: Es reiche nicht, nur die Macht in der parlamentarischen Politik zu übernehmen. Für eine proletarische Revolution müsse der bürgerliche Staat zerschlagen werden.

Gemäss Engels ist der Staat “eine besondere Repressionsgewalt”. Das heisst, er hat die Aufgabe, die Macht zu sichern. Anders als im Anarchismus, in dem man die Form des Staates abschafft, wollen ihn Marxist-Leninist*innen in die eigenen Hände nehmen und so umwandeln, dass er abstirbt.

Diese Welt wird unser sein

Bei der Revolution wird das Proletariat die Produktionsmittel in seinen Besitz übernehmen und die Staatsgewalt ergreifen. Ab diesem Punkt stirbt der Staat ab. Dies klingt erst mal sehr spektakulär und unklar, deswegen folgt hier ein Erläuterungsversuch:

Im absterbenden Staat wird der ehemalige Parlamentarismus erneuert. Aus den Parlamenten werden “arbeitende Parlamente», welche ihre Entscheide selbst ausführen und kontrollieren, damit sie die Auswirkungen direkt sehen und die Verantwortung der Gesetze klarer ersichtlich ist. Dabei sollen die “Beamten” also die Personen, welche in den Räten arbeiten, gleichen Lohn erhalten wie die Arbeiter*innen in den Fabriken. So stirbt dieser Staat mit der Zeit ab, weil die Produktionsmittel der ganzen Gesellschaft gehören und die Einteilung in Klassen überflüssig wird. (Autor: Xaver Bolliger)

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