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Infrarot 225 International

«Stop twierdza Europa»

Im Sommer dieses Jahres wurde der erste Teil des Grenzzauns an der polnisch-belarussischen Grenze fertiggestellt. Seither soll er Menschen daran hindern, nach Europa zu gelangen. Politische Kollektive und Aktivist*innen unterstützen Menschen, die ihn überwunden haben, vor Ort.

Gewalt und Widerstand entlang des polnisch-belarussischen Grenzzauns

Im Sommer dieses Jahres wurde der erste Teil des Grenzzauns an der polnisch-belarussischen Grenze fertiggestellt. Seither soll er Menschen daran hindern, nach Europa zu gelangen. Politische Kollektive und Aktivist*innen unterstützen Menschen, die ihn überwunden haben, vor Ort.

An der polnisch-belarussischen Grenze wird die «Festung Europa» ein weiteres Mal sichtbar: 5,5 Meter hoch und 187 Kilometer lang ist der Grenzzaun aus Stahl und Nato-Draht. In den nächsten Monaten soll dieser erste Zaun noch durch Bewegungsmelder und Videokameras ergänzt werden. Gekostet hat alles 336 Millionen Euro. Das Ziel: Migrationsbewegung nach Polen, respektive in die EU, verhindern.
Nicht nur Menschen werden gehindert, sich frei zu bewegen. Der Zaun führt mitten durch den Białowieża-Urwald, der letzte seiner Art in Europa, und gefährdet dessen Ökosysteme. So verwehrt der Zaun zum Beispiel vielen Wildtieren wie Wisenten, Elchen oder Hirschen, sich in ihren gewohnten und natürlichen Mustern zu bewegen.
Die Reaktionen auf den Grenzzaun sind unterschiedlich: Die einen begrüssen ihn als Bollwerk gegen Russland. Für andere ist dieses Stück «Festung Europa» die Manifestierung des tödlichen Migrationssystems. Und wiederum andere sind froh, dass nach der Fertigstellung des Stahlzauns die Sicherheitszone aufgehoben wurde, in der sich ab September 2021 nur Anwohner*innen und Menschen mit spezieller Bewilligung aufhalten durften. Dies führte zur Isolation etlicher Dörfer und deren Bewohner*innen in Grenznähe. Auch Medien, NGOs und Aktivist*innen wurde der Zugang verwehrt.

Gewalt entlang des Grenzzauns ist zum Alltag geworden
Doch mit dem Bau des Grenzzauns und der Aufhebung der Sperrzone hat sich die Situation nicht beruhigt: Alle Arten von Brutalität, die von anderen europäischen Grenzen bekannt sind, wurden auch an der polnisch-belarussischen Grenze zur Realität.
Mauern und Zäune verhindern Migration nicht, sie machen den Weg unsicher und tödlich. People on the Move graben sich unter dem Zaun hindurch oder klettern drüber; oft tragen sie dabei Schnittwunden durch den Nato-Draht davon oder brechen sich Knochen durch Sprünge oder Abstürze. Alternativ zur Überwindung des Zauns wählen viele den Weg durch Flüsse und sind nach der Durchquerung nass, ausgekühlt und erschöpft.

Schläge von Grenzbeamt*innen beider Länder sind Alltag. Belarussische Grenzbeamt*innen zwingen die Menschen teilweise gewaltsam dazu, die Grenze zu überwinden. Polnische Beamt*innen gehen ebenfalls brutal gegen People on the Move vor: Es gibt etliche Berichte von zerstörten Smartphones, gestohlenem Geld und Verletzungen durch Fusstritte und Stockschläge.

Propaganda und Widerstand
Ein Netzwerk von polnischen Aktivist*innen und Kollektiven organisiert die Unterstützung der Menschen nach der Grenzüberquerung. Über eine Notfallnummer können People on the Move Kontakt aufnehmen und so Kleidung, Nahrung, Powerbanks, Handys, Medikamente und weitere überlebensnotwendige Mittel erhalten. Diese Unterstützungsarbeit wird jedoch kriminalisiert. Aktivist*innen werden regelmässig kontrolliert und bisweilen auch verhaftet.
Neben den Notsituationen entlang des Grenzzauns sind Aktivist*innen auch konfrontiert mit einem politischen Narrativ der Bedrohung und einem gesellschaftlichen Vergessen. Die Gewalt gegen People on the Move passiert im Verborgenen. Pushbacks wurden von der polnischen Regierung legalisiert, um diese als Verteidigung gegen die «hybride Kriegsführung» von Belarus darzustellen, die Polen durch Migration destabilisieren solle. Der Zaun soll nun die «Lösung» bringen. Etwas mehr als ein Jahr nach der Gewalteskalation an der polnisch-belarussischen Grenze verblasst das Bewusstsein um die Notsituation von People on the Move in den Wäldern und Lagern Polens. Doch die Notrufe kommen nach wie vor. Die Arbeit geht weiter.

NoBorders Team
Grupa Granica

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