Nichts anderes besänftigt die Hetzwilligkeit von volkspartei-bürgerlich Gewandten Schweizer*innen ganz so wie die persönlichen Leiden und Elenden den «nicht-Schweizer*innen», also den «Anderen», in die Schuhe zu schieben. Die daraus entstehenden menschenverachtenden politischen Entscheide und Kompromisse basieren oftmals auf Überspitzungen rausgepickter Rosinen, auf Falschannahmen, oder sind lediglich anmassende Lügen. Im Folgenden wird dieser Rassismus auf materialistischer Ebene definiert und mit Fremdenfeindlichkeit verglichen, dann werden vorkoloniale und koloniale Verhältnisse analysiert und ihr Bezug mit kapitalistischen Wirtschaftsnormen geschildert, darauf folgt ein Einblick in die Verhältnisse von Gastarbeiter*innen in der Schweiz zu den Schweizer*innen und zu sich selbst sowie das heutige ökonomische Ausbeutungsverhältnis und die dazugehörige ideologische Rationalisierung bevor schliesslich klar wird, dass das Bekämpfen von Rassismus auf ideologischer Ebene am Ende Sisyphusarbeit bleibt.
Rassismus ist die Theorie, nach der Menschen (z.B. aufgrund ihrer Abstammung) in verschiedene Rassen aufgeteilt werden, die sich biologisch oder kognitiv voneinander unterscheiden. Zum Beispiel waren Menschen mit heller Haut im rassengetrennten Südafrika davon überzeugt, dass ihre Herrschaft über einheimische dunkelhäutige Menschen prädestiniert, gottgewollt und «natürlich» sei. Heute gilt der allgemeine Konsens, dass der Mensch eine Spezies und eine Rasse ist. Aus diesem Grund ist der Rassismus in seinem ursprünglichen Gebrauch obsolet. Stattdessen wird «Fremdenfeindlichkeit» immer mehr zum Begriff. Sie betont die Differenzen zwischen Kulturen und wird daher auch als differenzialistischer oder kultureller Rassismus bezeichnet. Die Kategorie der Immigration hat also jüngst die Kategorie der Rasse ersetzt. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit werden hier im materialistischen Kontext geschildert. Das bedeutet, dass sie als Parallelphänomen zur Klassentrennung und zum Kapitalismus analysiert werden und somit ein Fokus auf (ehemalige) gesellschaftliche Missstände gelegt wird.
In Handelsberichten zu Zeiten kurz nach der Geburt Christi wurden «andere» oder «verschiedene» Menschen zwar erwähnt, aber sie wurden nicht als minderwertig oder gefährlich angesehen.
Handel zusammen mit anderen Menschen(-gruppen) zu betreiben war gang und gäbe schon lange bevor die Idee des Kolonialismus überhaupt aufkam. In Handelsberichten zu Zeiten kurz nach der Geburt Christi wurden «andere» oder «verschiedene» Menschen zwar erwähnt, aber sie wurden nicht als minderwertig oder gefährlich angesehen. Erst viel später, namentlich am Anfang der sogenannten ursprünglichen Akkumulation, also die Anhäufung des ersten Kapitals, führten Kolonialist*innen ausserhalb von Europa Plünderungen, Versklavungen und Raubmorde aus, während das akkumulierte Raubgut als Kapital zurück ins Mutterland nach Europa floss. Der systematische Kolonialismus war geboren. Das System war aber weder feudal noch vorbürgerlich, sie war bereits kapitalistisch. Die Kolonisierten arbeiteten 16 bis 20 Stunden am Tag und erhielten für ihre Arbeit entweder Löhne unter dem Existenzminimum oder direkt schon Essen. Diese Art von Entlohnung verstösst gegen die (damals schon bestehenden) bürgerlichen wirtschaftlichen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit. Die Zwangsarbeiter*innen haben einerseits keine freie Verfügung über ihr Vermögen und sind indes angewiesen auf ihre Kolonialist*innen, indem sie zum Beispiel Essen statt Geld für ihre Arbeit bekommen, damit sie lediglich noch am Leben bleiben können, und andererseits werden sie nicht für den Wert ihrer Arbeit sondern für den Aufwand bei einem allfälligen Ersatz entlöhnt. Das heisst, dass Kolonialisierte (überproportional) mehr Wert produzieren, als sie Lohn dafür bekommen. Dieses bürgerlich-scheinheilige Prinzip wird also bei der Produktion (damals wie auch heute) vernachlässigt, dann aber in der Zirkulationssphäre, also im Markt, ausgenutzt (Angebot = Nachfrage).
Heute sieht Rassismus anders aus. Auch wenn sie die Bezeichnung «Fremdenfeindlichkeit» trägt, ist sie genau wie der kolonialistische Rassismus aus den wirtschaftlichen Interessen von wachsenden Volkswirtschaften entstanden. Im Falle der Schweiz waren es die Gastarbeiter*innen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter anderem für Thesen wie die lohndrückende Funktion der Gastarbeiter gesorgt haben. Gastarbeiter*innen galten als Einspringer*innen, damit «Arbeitsmarktanforderungen nach oben und nach unten angeglichen werden können» (deutscher Arbeitgeberverband). Die daraus entstandene Rassenschranke für Gastarbeiter*innen führte daraufhin zu einem Minderwertigkeitsgefühl, was zu einer sehr starken Konkurrenz zwischen den einzelnen Gastarbeiter*innen führte. Diese wollten sich nämlich beweisen, um einerseits bei einer Rezession nicht gekündet zu werden und andererseits eine Chance haben zu dürfen, die Rassenschranke zu überwinden. Doch egal wie viel Mühe sich die Gastarbeiter*innen bei der Arbeit gaben, für die einheimischen waren und blieben sie die Ursache ihres drohenden sozialen Abstiegs und der sinkenden Löhne. Dieses Klassenverhältnis führte schlussendlich zu hetzerischen Sprüchen wie «Das Boot ist voll» und vieles mehr, was wir noch heute geniessen dürfen.
Rassismus findet also innerhalb von gesellschaftlichen Zusammenhängen, konkret innerhalb von der kapitalistischen Produktionsweise statt. Indem er die Überausbeutung einer Gruppe von Arbeitskräften ideologisch verklärt, werden soziale Verhältnisse naturalisiert. Die Arbeiter*innenklasse soll also auch als solche bekannt und isoliert sein. In diesem Sinne ist der Rassismus natürlich, weil sie das Einzige ist, was Einheimische davon abhält, auf die unterste Stufe der sozialen Hierarchie abzusinken. Rassismus bewahrt zum Beispiel eine*n Schweizer*in davor, durch die Rassenschranke aufs Niveau der Gastarbeiter*innen zu fallen. Im Kapitalismus müssen deshalb Differenz und Gleichheit stets die Waage halten. Rassismus ist somit materiell und real. Sie lässt sich in ökonomischen und politischen Klassenpositionen beobachten und ist nicht nur ein verzerrtes Verhältnis zwischen Rassen und Kulturen. In diesem Sinne braucht es für die Überwindung vom Rassismus nicht nur eine gegenseitige Toleranz von verschiedenen Rassen und Kulturen, sondern eine aktive Zerstörung der unterdrückenden Machtverhältnisse zwischen den verschiedenen sozialen Klassen sowie auch die Zerstörung der Rassenschranke.
Literatur
Sarbo, B. (2022). Rassismus und gesellschaftliche Produktionsverhältnisse. In E. Roldán Mendívil, & B. Sarbo, Die Diversität der Ausbeutung (pp. 37-63). Berlin: Karl Dietz Verlag Berlin GmbH