Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist seit Jahrhunderten klar: Männer stehen in gesellschaftlichem Ansehen und Entlöhnung über den Frauen. Dass diese Geschlechterhierarchie sich auch im Kapitalismus so hartnäckig hält, ist kein Zufall, sondern direkt verbunden mit der Art, wie Reproduktionsarbeit innerhalb der Gesellschaft organisiert ist.
In zahlreichen Workshops in der JUSO haben wir es schon gehört: Im Kapitalismus besitzt eine Klasse die Produktionsmittel, die andere Klasse lediglich ihre Arbeitskraft und ist daher dazu gezwungen ihre Arbeitskraft an die besitzende Klasse zu verkaufen, um zu überleben. Sprich: Für unsere Arbeitskraft, die wir in verschiedenen Jobs einsetzen, erhalten wir einen Lohn. Dieser Lohn reicht – idealerweise – dazu aus, unsere Arbeitskraft wiederherzustellen, also zu reproduzieren. Wir alle müssen uns also um uns selbst kümmern – essen, duschen, schlafen, etc. – damit wir am nächsten Tag einigermassen ausgeruht und satt wieder zur Arbeit zurückkehren können.
Damit die Produktion am Laufen bleibt, braucht es also die Reproduktion. Ohne sie wäre es weder möglich, dass die Arbeiterschaft Tag für Tag wieder arbeitsfähig am Arbeitsplatz auftaucht, noch wäre sichergestellt, dass Personen, die zeitweise nicht arbeitsfähig sind, versorgt sind.
Gleichzeitig widersprechen die kurzfristigen Bedürfnisse der herrschenden Klasse ihren längerfristigen Interessen: Auf kurze Sicht zählen Profite und daher die maximale Aneignung des Mehrwerts, also maximale Ausbeutung. Längerfristig brauchen die Kapitalist*innen dafür aber eine Klasse, die diese Mehrarbeit leistet.
Dadurch steht die Reproduktionsarbeit unter konstantem Druck. Warum? Die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse interessiert das Kapital nur in dem Masse, wie damit die Arbeitskraft wiederhergestellt wird: «Eine 40-Stunden-Woche und die Unterwerfung der Arbeiter_innen unter die Belange des Unternehmens bzw. des Staates entsprechen mit keiner Silbe den menschlichen Bedürfnissen nach freier Entfaltung, freier Zeit und der Sorge für sich und andere. Die aktuellen Arbeitsbedingungen machen es quasi zu einem Ding der Unmöglichkeit, Lohn- und Sorgearbeit zufriedenstellend unter einen Hut zu bringen» (Mohs 2018: 154). Der Druck auf die Reproduktion kann durch sozialstaatliche Massnahmen gemildert werden, während Wirtschaftskrisen sowie das neoliberale Diktat von Sparzwang und Privatisierung den Druck verstärken.
«Das hierarchische Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist für den Kapitalismus zu einer Notwendigkeit geworden»
An dieser Stelle wird das Geschlecht relevant. Denn: Wer geht einkaufen, wer kocht das Abendessen, wer pflegt die Alten und wer erzieht die Kinder? Diese Aufgaben fallen innerhalb von Familien und vielen anderen Beziehungsformen meistens der Frau zu (vgl. Mohs 2018: 150). Entsprechend hoch ist der Druck auf Frauen in ihrer Doppelrolle als Verantwortliche für Haus- und Sorgearbeit bei gleichzeitiger Einbindung in die Lohnarbeit – all das, während sowohl die Reproduktionsarbeit als auch die Lohnarbeit von Frauen gesellschaftlich schlechter bewertet wird.
Das hierarchische Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist für den Kapitalismus zu einer Notwendigkeit geworden: Würde die unbezahlte Reproduktionsarbeit nicht von Frauen übernommen werden, könnte das System in seiner Form so nicht weiterbestehen. Die Krise der Reproduktion ist also das Resultat einer Produktionsweise, die nicht auf menschliche Bedürfnisse ausgerichtet ist, sondern auf Kapitalvermehrung. Das Dilemma ist daher nur mit einer anderen Wirtschaftsweise zu lösen. Für die Praxis bedeutet das aber nicht, dass wir uns zurücklehnen und auf den Sozialismus warten können. Ganz im Gegenteil: Der Kampf der Frau gegen ihre Rolle als Hauptverantwortliche für die Reproduktionsarbeit hat das Potential, aufzuzeigen, wie absurd und menschenfeindlich die kapitalistische Wirtschaftsweise wirklich ist.
Zum Weiterlesen:
Mohs, Charlotte. No Women’s Liberation without Socialism! No Socialism without Women’s Liberation! In Koschka Linkerhand (ed.), Feministisch streiten: Texte zu Vernunft und Leidenschaft unter Frauen, 146–159. Berlin: Querverlag.