Weit zurück liegen die 90er und damit die Erinnerungen an die offenen Drogenszenen am Platzspitz oder am Berner Kocherpark. Für diesen ersten Ausbruch aus der bürgerlichen Repression feiern sich Linke in der Schweiz auch noch heute. Bleibt die Frage: Wie geht›s nun weiter?
Wir müssen reden: Die Sozialdemokratie hat ein Drogenproblem. Denn seit den Neunzigern hat sich hierzulande wenig getan in Sachen Drogenpolitik. Schlimmer: Vergangene Jahre scheinen mangels entkriminalisiertem Konsum von so mancher Substanz nicht einmal zur kritischen Auseinandersetzung mit fortschrittlicheren Alternativen zum Betäubungsmittelgesetz, einer feinsäuberlichen Auflistung davon, was böse sein soll, geführt zu haben.
Zwar ist mittlerweile von den meisten, mit der üblichen Ausnahme der SVP, anerkannt, dass Repression in Sachen Drogenkonsum nicht zielführend sein kann. So scheint mittlerweile Konsens darüber zu herrschen, dass beispielsweise Cannabis in der Schweiz legalisiert werden muss. Zudem ebenfalls erfreulich: Unter Sucht leidende Individuen haben heute immerhin (theoretisch) die Möglichkeit, sich einigermassen (vor-)urteilsfrei helfen zu lassen. Theoretisch – denn häufig werden Drogen noch immer als Grund vorgehalten, um Menschen an den Rand der Gesellschaft zu drängen, polizeilich ins Visier zu nehmen und wegzusperren. Sehen wir jedoch davon ab, hat sich in den Köpfen einiges getan. Auf dem Weg zur Erkenntnis, Drogen seien nicht per se eine böse Erfindung Satans, fehlt jedoch ein grösserer Plan.
Experimentierartikel freut in erster Linie die Industrie
Gesetzgeberisch hat sich erst neulich, spezifisch im Fall von Cannabis etwas bewegt. Nach einigen erfolglosen Anläufen, den Stoff unter wissenschaftlicher Begleitung in Umlauf zu bringen (wie zum Beispiel 2017 in der Stadt Bern), trat im Mai letzten Jahres der sogenannte «Experimentierartikel» nach einigem Hin- und Her in Form einer Änderung des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG) in Kraft. Jener Abschnitt schafft eine juristische Grundlage für wissenschaftliche Pilotversuche unter kontrollierter Abgabe von Cannabis. Im Juni desselben Jahres widmete ihm die WOZ (#22 2021) einen Artikel. Daraus wird eines klar: Über das Gesetz freuen sich vor allem Firmen, die am durch gesetzliche Lockerungen eröffneten Markt für CBD-Cannabis mitmischen und nun auch THC-haltiges Hanf anbieten wollen. Ein wichtiger Name fällt: Die Pure Holding AG. Hier sei angemerkt, dass jenes Unternehmen nun zu einer Organisation mit eigener Forschungsabteilung angewachsen ist. Mit pharmakologischer Grundlagenforschung hat man dort aber wenig am Hut. Es geht primär um eines: Durch Profit motivierte Produktentwicklung.
Vermeintlich fehlende Erfahrungen als Vorwand für Stillstand
In der Politik stellen sich nun Enige die Frage, wie weit die Marktliberalisierung fortschreiten darf. Gerade mit Hinsicht auf Firmen wie Pure und mit Blick auf Entwicklungen in den USA sind Sorgen berechtigt. In Übersee wuchert eine massive Industrie, die nicht nur den Cannabismarkt, sondern auch die Politik auf undemokratische Weise beherrscht.
Hierzulande scheinen solche berechtigten Fragen nicht der Grund für den Stillstand zu sein. Oft wird als vermeintliches Argument für das zögerliche Handeln genannt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen und sich der Experimentierartikel erst bewähren müsse. Diese Aussagen sind bedingt glaubwürdig, insofern die Kernfrage längst bereinigt ist: Drogenpolitik mit repressiven Ansätzen führt nicht zur Minderung des Konsumverhaltens. Im Wissen um diesen Umstand bleibt als sofortiger nächster Schritt bloss, eine Drogenpolitik zu entwickeln, die auch über den Tellerrand der kapitalistischen Weltsicht blickt.
Linke, spezifisch die SP, sind hier nicht auszunehmen. So ist das Ziel der Entkriminalisierung zwar grundsätzlich anerkannt und gut gemeint, aber hier fehlt – as a surprise to no one – eine grössere Vision. 2006 befasste sich die SP zuletzt intensiver in einem Positionspapier mit der Suchtpolitik. Trotz umfangreicher Analyse und grundsätzlich interessanten Folgerungen, widerspricht sich das Papier in Sachen Fortschrittlichkeit durch die Unterstützung des sogenannten «Vier-Säulen-Modells», sprich der nun heutige gültigen Fassung des Betäubungsmittelgesetzes, samt repressiven Aspekten, selber. Wild werden zudem neoliberale Argumentationen herumgeworfen, die in der Sucht die Gefahr eines Verlusts an «Humankapital» sehen.
Geblieben ist selbst von dieser vergangenen Positionierung bis heute wenig. Ausser den immer wiederkehrenden Abwägungen um Preise, Lenkungsabgaben und sonstigen technische Aspekten zu Instrumenten, welche die Zugänglichkeit bewusstseinsverändernder Substanzen beeinflussen könnten. Die Sucht- und Drogendebatte auf solche technischen Punkte zu reduzieren, ist nicht zielführend. Fast klingt es so, als beschränke sich das Wissen über psychoaktive Stoffe in SP-Kreisen darauf, das Kiffverhalten der eigenen Sprösslinge irgendwie notdürftig ins eigene kleinbürgerliche Weltbild einquartiert zu haben.
Drogenpolitik bedingt eine allgemeine Gesundheitsversorgung
So darf die Selbstbestimmung über den eigenen Körper und Veränderungen des eigenen Bewusstseins kein Privileg sein. Oder nicht auf der sozialliberalen Illusion beruhen, ein Markt im kapitalistischen Sinn lasse sich beliebig fein einstellen, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Die Linke muss im Sinne einer universellen Gesundheitsversorgung konsequenterweise fordern, den Zugang zu Substanzen, wenn schon komplett von marktwirtschaftlichen Überlegungen zu entkoppeln. Die allgemeine Verfügbarkeit von bewusstseinsverändernden Verbindungen könnte jenseits der Logik, bei der es primär darum geht, wer die Kosten der Gesundheitsversorgung trägt, automatisch mit der entsprechenden medizinischen und psychologischen Betreuung verknüpft werden.
Konkrete Ansätze sind quasi griffbereit. Unter dem Ansatz von «harm reduction», wörtlich «Schadenbegrenzung», unterstützen bereits heute Organisationen wie «Rave it Safe» einen möglichst sicheren und informierten Konsum psychoaktiver Substanzen durch Beratung und Analyse von Substanzproben der zu konsumierenden Stoffe (drug checking). Eine Ausweitung dieses Konzepts über die Kontrolle der Substanzen hinweg wäre somit einleuchtend. Funktioniert dürfte dies vor allem dann, wenn der Zugang über einen solchen «regulären» Weg in jedem Fall einfacher bliebe, als die Beschaffung über die Märkte – ungeachtet ob geregelt oder schwarz.
Regulatorische Aspekte als Hürde
Jeder vergehende Tag, ohne ein grundsätzliches Umkrempeln drogenpolitischer Instrumente, hat das Potential zu töten. Folglich ist keine Zeit mit regulatorischen Kleinkarriertheiten zu verlieren. Denn viele Abwägungen sind sinnlos: Welche Drogen denn «hart» genug seien, um mit entsprechend restriktiven Massnahmen kontrolliert zu werden, ist oft eine Frage der Perspektive. Letztendlich lässt sich kein Konsum auf gesellschaftlicher Ebene steuern. Zudem kennen Moleküle keine klaren regulatorischen Grenzen: Stoffe wie LSD oder Psilocybin sind schlichtweg nicht abschliessend kategorisierbar. Manchmal dürften sie in die Schublade der Medikamente fallen. Etwa hoch dosiert im Rahmen einer begleiteten Psychotherapie. Heute bleibt diese Anwendung aber gesetzlich eingeschränkt, da die Wahrnehmung dieser Substanzen als «Drogen» überwiegt. Plus: Wie verhielte es sich nun mit Microdosing? Unter dem Strich: In einer postkapitalistischen Welt dürfte dies idealerweise keine Rolle spielen. Wirklich materiell relevant sind nur die Angaben über Struktur, Reinheit und Menge, sowie dass Konsum informiert, beziehungsweise – noch besser – begleitet stattfindet.
Aus wissenschaftlicher Sicht liegt das Interesse heute vor allem daran, Licht in unsere neurobiologische Schattenwelt zu werfen. Drogen sind dabei sowohl ein interessantes Gebiet, als auch Werkzeug. Ein Blick in die längst vorhandene Fachliteratur würde genügen, um zu überzeugen, dass für Grundlagenforschung keine fancy Ausnahmeartikel, wie sie für Cannabis im BetmG geschaffen wurden, erforderlich sind. Aber eben: Offenbar soll der Status quo noch ein bisschen länger zementiert werden. Dass sich der spezifische Fall von Cannabis etwas weniger zögerlich bewegt ist kaum Zufall: Dessen Lobby samt Armee von ETH-Techbros, Investor*innen et al verführt auch weniger vorwärtsdenkende Akteur*innen. Eigene Ideen davon überrollen zu lassen, wäre somit ein Fehler. Die Zeit des stillen Beobachtens ist vorbei, jetzt müssen unsere Forderungen folgen.