In ihrem Buch «Gender trouble» hat die Philosophin Judith Butler das Konstrukt der cis-heteronormativen Matrix beschrieben. Diese Matrix definiert aufgrund der unterschiedlichen Körperlichkeiten von Frauen* und Männern* Normen und Werte. Sie ist die Grundlage für das traditionelle gesellschaftliche Verständnis von Geschlechtern und erzeugt ein Geschlechtermodell, das nach der Soziologin Maria Victoria Carrera-Fernàndez, «binär, entgegengesetzt, hierarchisch und komplementär und somit zwingend heterosexuell» ist 1.
Die cis-heteronormative Matrix ist immer noch fest in der Gesellschaft verankert und so verwundert es nicht, wenn sich dieses Modell auch in der Schulmedizin (letztendlich eine gesellschaftliche Institution) wiederfindet. Klar wurden in der Vergangenheit wesentliche Verbesserungen erreicht, etwa indem Homosexualität und «Transsexualismus» (ein inzwischen veralteter Begriff) seit 1991 respektive 2021 nicht mehr als psychische Krankheiten gewertet werden2.
Dennoch wird das selbst erklärte Ziel der Weltgesundheitsorganisation WHO, jeder Person die bestmögliche Gesundheitsversorgung zukommen zu lassen3, verfehlt. Dies zeigt sich mit Blick auf die LGBTQIA+-Community besonders klar, einerseits durch Diskriminierungen des medizinischen Personals und unnötige Wissenslücken durch eine Vernachlässigung des Themas in der medizinischen Ausbildung4, andererseits aber auch systemisch durch das vorherrschende undifferenzierte und binäre Geschlechtermodell.
Das Geschlecht einer Person lässt sich in Komponenten aufteilen. Relevant für die medizinische Versorgung sind hierbei das somatische Geschlecht (Anatomie, Chromosomen, Hormoninteraktionen, etc.), die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität (wie definiere ich mein Geschlecht für mich) 5. Während die Aufnahme der Geschlechtsidentität inklusive des bevorzugten Pronomens der Kommunikation zwischen Ärztin und Patientin dient, ist die Festhaltung des somatischen Geschlechts, zumindest bei der zentralen medizinischen Ansprechperson (in der Regel der/die Hausärzt*in), besonders für Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung («intersex») und trans Personen essenziell. So benötigt etwa ein trans Mann, der noch eine Gebärmutter hat, gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen. Ein weiteres Problem, das die cis-heteronormative Matrix schafft, ist die generelle Annahme einer Heterosexualität. Zumindest für die medizinische Vorsorge wäre eine korrekte Erfassung der sexuellen Orientierung der Patient*innen von Vorteil, etwa mit Blick auf die höhere Prävalenz von STDs bei Männern*, die Sex mit Männern* haben.
Diese Massnahmen stellen praktisch keinen Mehraufwand dar, würden aber einen enormen Benefit in der Gesundheitsversorgung der LGBTQIA+-Community erbringen.
Die Medizin musste sich in ihrer Geschichte sowie in ihrer Gegenwart ständig neuen wissenschaftlichen Entdeckungen anpassen. Es wäre wieder Zeit für Reformen, diesmal handelt es sich jedoch nicht um handfeste Belange wie Asepsis, Epidemiologie oder die Entwicklung neuer Krankheitsbekämpfungen. Jetzt geht es um inklusivere Gesundheitsversorgung, um die Behebung von unnötigen Wissenslücken und einer diskriminierungsfreieren Medizin.
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Eine Antwort auf „Cis-Heteronormativität in der Schulmedizin“
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